An Doris nach einem kleinen Scharmützel.

[117] Wär ich von Sanct Peters Kirche,

Glaube, daß ich dann gewiß,

Dich zu meiner Liebling Heil'gen

Als Magdlena malen ließ.
[117]

Mädchen, nie sah ich dich schöner,

Als da Deine weiche Hand

Kunstlos statt des Modekopfstaats,

Bloß ein Tuch der Stirn umwand.


Schalkhaft kuckte nie ein Lockchen

Neben dem beringten Ohr,

Um ein Probchen Haar zu zeigen

Unterm seidnen Tuch hervor.


Dreuster funkelte Dein Auge,

Weißer schien Dein weiß Gesicht,

Purpur floß um Deine Wangen,

Schöner glüht Aurora nicht.
[118]

Wie der Magdalena Busen

Naß von Thränen reuig stieg;

Mädchen so hob Deinen Busen

Hofnung auf den schönsten Sieg.


Wie die Rose wenn des Morgens

Thau auf ihren Blättern steht;

So Dein Rößchen, daß an Schönheit

Alle Rosen übergeht.


Holde Sehnsucht warmer Liebe,

Sprach Dein zauberischer Blick,

Unter tausend kleinen Seufzern,

Theilest Du mit mir mein Glück.
[119]

Warum hielt'st Du doch dem Auge,

Wenn der Wollust luft'ger Flor

Es bezog, oft wenn es lachte,

Deine Hand mißgünstig vor?


Schäm' Dich nicht des sanften Schauers,

Der durch alle Nerven schießt,

Wenn der milde Thau der Wollust

Aus der Rosenmuschel fließt.


Laß das schöngebrochne Auge,

Laß der Zunge tändelnd Spiel

Sagen, ob der kleine Zweykampf

Dir so sehr als mir gefiel.
[120]

Laß mich alles alles sehen,

Wenn der heißte Kuß Dich frägt:

Ob Dein Herz auch treu wird bleiben,

Obs auch jetzt für mich nur schlägt?
[121]

Quelle:
[Johann Georg Scheffner]: Gedichte im Geschmack des Grecourt, Frankfurt; Leipzig 1771, S. 117-122.
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Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

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Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

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