Lob der Poeten

[164] An den Tichter Johann Klaien zu Nürenberg.


Kaum gläub' ich, daß auf dieser Erd'

Ein höher Lob gegeben werd'

An allem Ort' und Enden,

Als denen, die mit Hand und Mund

Des Himmels Gaben machen kund,

Ja Lehr' und Tugend senden

In manches Herz, das dieser Zeit

Sich sondert von der Eitelkeit.

Poeten mein' ich, werter Freund,

Poeten, welchen niemand feind

Als Leute, die nichts wißen;

Die nur sind Schlaven dieser Welt,

Ja Tag und Nacht das bloße Geld

Zu samlen sind geflißen.

Bei solchem Stank und Lasterschaum

Hat selten ein Poete Raum.

Ein edler Geist, der höher zielt,

Ein Geist, der Feur und Himmel fühlt,

Ist inniglich gewogen

Der hochgelahrten Tichter Schar,

Von welchen nimmermehr fürwahr

Ein Frommer wird betrogen;

Da samlet sich zu ieder Frist

Was hungrig nach der Weisheit ist.

Wenn lobet Gott ein reiner Mund,

Wer ehret ihn aus Herzengrund?

Ich mein', es thun Poeten.

Wer rühmet Gottes Wunderthat,

Im Fall er ihn erlöset hat

Aus großer Angst und Nöten?

Wer singet Gott ein Liedelein?

Ich sage, daß es Tichter sein.

Wer wüste von den Helden doch

Ein einzigs Wort zu sagen noch,[165]

Welch' Ilium bezwungen,

Wenn der Poeten Haubt und Licht,

Homerus, ihre Thaten nicht

Der Nachwelt vorgesungen?

Ein hochbegabter Tichter schreibt

Ein Werk, das nach dem Tode bleibt.

Poeten können Herz und Sinn

Durch ihre Kunst zum Trauren hin,

Wenn sie nur wollen, bringen;

Sie können wiedrum schweres Leid

Verkehren bald in lauter Freud'

Und solches durch ihr Singen.

Was Menschen Augen je gesehn,

Muß ihnen schnell zu Dienste stehn.

Dafern nur ein Poete wil,

So steht der Himmel nimmer stil,

Die Sterne müssen tanzen;

Es springen auch die Stein' herfür,

Da hüpfen Wälder, Berg' und Thier',

Es zittern Wäll' und Schanzen;

Ja, was die schwarze Nacht bedeckt,

Wird durch Poeten aufgeweckt.

Herr Klaius, tretet doch herbei,

Durchleset dieß und saget frei,

Ob ich die Wahrheit schreibe?

Das weiß ich, daß kein Biedermann,

Was ich hier singe, strafen kan,

Wenn ich nur kühnlich bleibe

Bei dem allein, was Ihr gemacht,

Worüber Erd' und Himmel lacht.

Ihr, werter Tichter, und der Held,

Herr Harstorff, den die große Welt

Vor tausend andre preiset,

Ihr beide singet dergestalt,

Daß Ihr, was ich geschrieben, bald

Mit Hand und Mund' erweiset;

Drum seid Ihr, Lichter dieser Zeit,

Gesichert vor der Sterblichkeit.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 164-166.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon