An den Frühling 1838

[313] Lieber Frühling, sage mir,

Denn du bist Prophet,

Ob man auf dem Wege hier

Einst zum Heile geht?


Mitten durch den grünen Hain,

Ungestümer Hast,

Frißt die Eisenbahn herein,

Dir ein schlimmer Gast.[313]


Bäume fallen links und rechts,

Wo sie vorwärts bricht,

Deines blühenden Geschlechts

Schont die rauhe nicht.


Auch die Eiche wird gefällt,

Die den frommen Schild

Ihrem Feind entgegenhält,

Das Marienbild.


Küsse deinen letzten Kuß,

Frühling, süß und warm!

Eiche und Maria muß

Fort aus deinem Arm!


Pfeilgeschwind und schnurgerad,

Nimmt der Wagen bald

Blüt und Andacht unters Rad,

Sausend durch den Wald.


Lieber Lenz, ich frage dich,

Holt, wie er vertraut,

Hier der Mensch die Freiheit sich,

Die ersehnte Braut?


Lohnt ein schöner Freudenkranz

Deine Opfer einst,

Wenn du mit dem Sonnenglanz

Über Freie scheinst?


Oder ist dies Wort ein Wahn,

Und erjagen wir

Nur auf unsrer Sturmesbahn

Gold und Sinnengier?


Zieht der alte Fesselschmied

Jetzt von Land zu Land,

Hämmernd, schweißend Glied an Glied

Unser Eisenband?[314]


Braust dem Zug dein Segen zu,

Wenns vorüberschnaubt?

Oder, Frühling, schüttelst du

Traurig einst dein Haupt?


Doch du lächelst freudenvoll

Auf das Werk des Beils,

Daß ich lieber glauben soll

An die Bahn des Heils.


Amselruf und Finkenschlag

Jubeln drein so laut,

Daß ich lieber hoffen mag

Die ersehnte Braut.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 313-315.
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