Beethovens Büste

[392] Traurig kehrt ich eines Abends

In mein einsam düstres Zimmer,

Überraschend drin entgegen

Blinkte mir ein Freudenschimmer.


Mit dem sichern Blick der Liebe

Hatt ein Freund den Spalt getroffen,

Wo des Unmuts düstre Zelle

Blieb dem Strahl der Freude offen.


Ha! ich fand des Mannes Büste,

Den ich höchst als Meister ehre

Nebst dem schroffen Urgebirge

Und dem grenzenlosen Meere.


Ein Gewitter in den Alpen,

Stürme auf dem Ozeane

Und das große Herz Beethovens,

Laut im heiligen Orkane,


Sind die Wecker mir des Mutes,

Der das Schicksal wagt zu fodern,

Der den letzten Baum des Edens

Lächelnd sieht zu Asche lodern.


Kämpfen lern ich ohne Hassen,

Glühend lieben und entsagen,

Und des Todes Wonneschauer,

Wenn Beethovens Lieder klagen;[392]


Wenn sie jubeln, Leben schmetternd,

Daß die tiefsten Gräber klüften

Und ein dionysisch Taumeln

Rauschet über allen Grüften.


Wenn sie zürnen, hör ich rasseln

Menschenwillens heilge Speere,

Und besiegt zum Abgrund, heulend,

Flüchten die Dämonenheere. –


Sanftes Wogen, holdes Rieseln;

Sind des Weltmeers kühle Wellen

Süß beseelt zu Liebesstimmen?

Wie sie steigen, sinken, schwellen!


Auf der glatten Muscheldiele

Halten Nixen ihren Reigen,

Keime künftger Nachtigallen

Träumen auf Korallenzweigen.


Horch! noch leiser! dem Naturgeist

Abgelauschte Lieder sind es,

Die er flüstert in das erste

Träumen eines schönen Kindes;


Die er spielt auf Mondstrahlsaiten,

Ob dem Abgrund ausgespannten,

Deren Rhythmen in der Erdnacht

Starren zu Kristallenkanten;


Und nach deren Zaubertakten

Rose läßt die Knospe springen,

Kranich aus des Herbstes Wehmut

Lüftet seine Wanderschwingen. –


Ach, Coriolan! vorüber

Ist das Ringen, wilde Pochen,

Plötzlich sinds die letzten Töne,

Dumpf verhallend und gebrochen.[393]


Wie der Held im schönen Frevel

Überstürmte alle Schranken,

Dann – der tragisch Überwundne

Stehn geblieben in Gedanken.


Sinnend starrt er in den Boden,

Sein Verhängnis will Genüge;

Fallen muß er, stummes Leiden

Zuckt um seine edlen Züge. –


Horch! im Zwiespalt dieser Töne

Klingt der Zeiten Wetterscheide,

Jetzo rauschen sie Versöhnung

Nach der Menschheit Kampf und Leide.


In der Symphonien Rauschen,

Heiligen Gewittergüssen,

Seh ich Zeus auf Wolken nahn und

Christi blutge Stirne küssen;


Hört das Herz die große Liebe

Alles in die Arme schließen,

Mit der alten Welt die neue

In die ewige zerfließen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 392-394.
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