Am dritten Sonntag nach Trinitatis


Der verlohrne Sünder

[87] Nach der Singweise: Ach Gott und Herr, wie groß und schwer.


1.

Ach! durch die Sünd

Ich armes Kind,

Wo bin ich hingekommen?

Ich bin verlohrn,

Zum Tod erkohrn,

Weil Gottes Zorn entglommen.


2.

In Finsternus

Ich ligen muß,

Darein ich mich vergangen.

Kein Fünklein Liecht

Ich sehe nicht,

Bin von der Nacht ümfangen.


3.

Ach wo ist Raht?

Der Mose naht

Mit dem Gesetzes-Besen:

Er will zur Höll

Mich kehren schnell

Mit andrem Unflatwesen.


4.

Ein Kehricht ist,

Wer Gotts vergisst,

Hangt an dem Koht der Erden.

Er muß hinaus,

Wann Gottes Haus

Einst wird gereinigt werden.


5.

O Jesu, eil!

Du bist zum Heil

Der Sünder Mensch gebohren.

Komm, der du nahmst

Ein Liecht und kamst

Zusuchen, was verlohren.


6.

Du selbst bist Liecht.

Vergiß mein nicht,

Erschein mit Trost und Gnade.

Ach Herr, mich such,

Daß Mose Fluch

Nit ewig mich belade.


7.

Ich bin getauft,

Von dir erkauft

Mit deines Bluts Goldgulden.

Laß nit, was dein,

Verlohren seyn:

Du zahltest meine Schulden.


8.

Komm, such und find.

Zwar meine Sünd,

Doch mich nit, laß auskehren.

Vielmehr mich hier

Bekehr zu dir,

Der Engel Freud zumehren.
[87]

9.

Solls ja so seyn,

Daß Straff u Pein

Hier folgen muß auf Sünde:

Mit Ruten mich

Stäup väterlich,

Nur keinen Besen binde.


10.

Das Dunkel bricht,

Ja sehe Liecht:

Jetzt werd ich neu gebohren.

Laß, Jesu, dein

Mich ewig seyn

Und bleiben unverlohren.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 87-88.
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